Animiert durch einen Fotobeitrag mit wunderschönen Fotos aus Orgosolo, habe ich ein Wenig im Internet recherchiert. Reise mit mir in dieses besondere Dorf in den Bergen nahe der Ostküste. Schau dir Fotos und auch ein paar Videos über Sardinien an.
Diese Sätze schrieb ich 2010. Da war meine letzte Reise nach Orgosolo schon über 30 Jahre her. Denn 1976 waren wir mit einer Gruppe in den Semesterferien mit vielen Zelten und viel Zeit zum Urlaub auf der Insel. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, ob wir zufällig oder geplant in diesem Bergdorf der Barbagia gelandet sind. 1976 waren viele der großen politischen Murales, für die der Ort noch heute berühmt ist, erst ganz frisch an die Hauswände gemalt worden.
Auf jeden Fall liefen wir mit offenen Mündern durch die Straßen, schauten u.A. auf Bilder von Salvador Alliende sowie auf Porträts von deutschen Persönlichkeiten der politischen Zeitgeschichte.
Mitten in einem Sardischen Bergdorf zu stehen und solche gewaltigen, aussagestarken Bilder zu sehen. Das hat mich tief beeindruckt!
Leider sind die Fotos von damals verschüttet. Aber ich war inzwischen noch mehrmal in diesem besonderen Bergdorf in der Ogliastra, denn Orgosolo hat mich immer wieder angezogen. Allerdings wollte ich nicht mit der Kamera um den Hals durch die Straßen laufen. 2012 habe ich deshalb nur einige Fotos aus dem Auto gemacht. Die Stimmung war an diesem Tag irgendwie düster und ich mochte nicht allein durchs Dorf laufen.
Erst 2015, als ich zu einem großen Herbstfest, dem Autunno in Barbagia wieder einmal dort war, habe ich die Gelegenheit genutzt, ausgiebig zu fotografieren.
Wenn du Fotos von weiteren Herbstfesten anschauen magst, gefällt dir vielleicht mein Beitrag. Es gibt dort auch ein Video zu sehen, über die Herstellung von „Su filindeu„, der berühmtesten Nudel Sardiniens :-)! Su filindeu und die Herbstfeste in der Barbagia.
Inzwischen hat ja jede/r ein mehr oder weniger kleines Handy dabei. So fällt man nicht weiter auf in der Menge. Zumal es ja zu einem Volkssport geworden ist, alles und Jeden und vor allem sich selbst so oft wie möglich zu fotografieren. Und gerade beim Herbstfest in Orgosolo geht es immer mit viel Geschiebe und Gedrängel zu. Denn es ist sehr beliebt. (Mein Tipp: Wenn du es zeitlich einrichten kannst, geh schon Samstags hin.) Ich hatte also viel Zeit und Gelegenheit die Murales zu fotografieren.
Eine Auswahl meiner Fotos aus Orgosolo
Orgosolo zeigt sich bei den Herbstfesten von seiner fröhlichen, offenen, gastfreundlichen Seite.
Die Murales, Wandmalereien, die an Häuser sowohl von Laien als auch Künstlern gemalt werden, zeigen sowohl stillen Protesten als auch den Zorn gegen die herrschende Ordnung. Politik als Fresco ist hier das Thema.
Doch es gibt auch Szenen aus dem alltäglichen Leben, wie sie viel z.B. in Tinnura, an der Westküste von Sardinien gemalt werden. Schau dir Fotos aus dem Sardischen Alltag in den Murales an der Westküste an, vor allem in Tinnura und Flussio.
In Orgosolo zeigen die Wandgemälde vor allem den Widerstand gegen Faschismus, Kapitalismus und Krieg. Das Aufbegehren gegen Wettrüsten, Apartheid, Rassismus und Elend. In vielen anderen Sardischen Dörfern verschönern sie hingegen einfach nur die Fassaden. Dasist natürlich ebenfalls schön anzusehen.
Die politischen Wandmalereien in Orgosolo gibt es seit 1969.
Viele der Bilder erklären sich ja selbst. So wie jeder den Chilenischen ermordeten Präsidenten Salavador Alliende erkennt, oder den Diktator Hussein. Aber was z.B die Büste von Bundeskanzler Helmut Schmidt dort zu suchen hat… Vielleicht erschließt sich das nur noch denen, die die Zeit von Baader Meinhof miterlebt haben.
Die Kultur der politischen Murales lebt auch heute noch.
Ich habe ein paar Seiten zusammengetragen, wie die Wikipedia Seite über Orgosolo. Du findest hier eine gute Zusammenfassung der Geschichte des Dorfes und seiner politische Vergangenheit.
Ein Ausschnitt aus dem Film von Vittori di Sita „Banditi a Orgosolo“ von 1961
Der Link zum gesamten Film, in der Länge von 1 Std. 40 Minuten
Cinema Sardegna Film Pelle Di Bandito Piero Livi 1969 Completo
Wer sich für diese wundervollen poliphonen Gesänge der Tenöre von Sardinien interessiert, dem sei auch mein Blogartikel „Sarden, Sardinien und die Tenores von Bitti“ empfohlen.
Tolle Ausschnitte, ein kleines Stückchen Urlaub
sowie wunderbare Fotos: „Unsere Ferien gingen dieses Jahr nach Sardinien. Im Westen ist’s am Besten: Zur Sardinien-Galerie“
Murales (Wandmalereien) in Sardinien
Er schreibt zu seinem Film:
„Der Ursprung der Malereien liegt in der politischen und sozialen Situation der 1960er und 1970er Jahre. Das erste Murales in Orgosolo wurden 1969 von Dioniso unterschrieben, ein Kollektivname einer anarchischen Gruppe. Mit ihren dramatischen Darstellungen erzählen sie das Leben der Landleute und Schäfer. Das Elend sowie den Kampf um Grund und Boden.
Die Bilder erzählen von der Kultur und den Bräuchen der Einwohner.
Die sardischen Murales haben eine kollektive Botschaft und regen ihre Betrachter täglich zum Nachdenken an.“
Noch ein paar allgemeine Informationen:
Orgosolo liegt 18 km von Nuoro entfernt in einem bewaldeten Kessel am Fuße des Berges Monte Lisorgoni (918 m).
Die Bewohner, die Orgolesi, werden von den umliegenden Dörfern als stolz, misstrauisch und eigensinnig charakterisiert. Zudem sprechen sie einen anderen Dialekt als die umliegenden Dörfer. Das verstärkt zusätzlich die Distanz zu den anderen Paese/Dörfern. Ihre Geschichte erzählt von bitterer Armut, Ausbeutung, Unterdrückung sowie sozialer Ungerechtigkeit.
In der blutigen Vergangenheit des Dorfes hatten die Einwohner den Ruf als stolze Hirten sowie ehrenwerte Banditen. Ein Dorf, in der das Gesetz der Blutrache und ein verzweifelter Widerstand gegen den italienischen Staat herrschten. Noch heute zeigt sich das am Hang liegende Orgosolo düster und unzugänglich. Nicht immer… aber manchmal.
Einige der Fotos sind von 2012, einige von 2015, aufgenommen beim Herbstfest.
Den autunno in Barbagia lass dir nicht entgehen! Wundervolle Feste, jedes Wochenende in einem anderen Sardischen Dorf der Barbagia. Von September bis in den Dezember wird gefeiert, getrunken, gut gegessen und die handwerklichen Traditionen der Region stolz gezeigt.
Orgosolo ist ein bezaubernder Ort. Wir haben es geliebt, durch die Straßen und Gassen zu wandern und nach den tollen Wandmalereien zu suchen. Gerade die älteren Bilder haben uns begeistert. Wir empfehlen mittlerweile jedem Sardinienurlauber diesen Ort zu besuchen.
Wir werden eines Tages mit unserer Tochter ein weiteres mal Orgosolo besuchen und schauen, was sich in der Zeit verändert hat.
Danke für diesen tollen Bericht.